Der deutsche Botschafter in Tel Aviv hält sich nicht an deutsche Außenpolitik
Die völkerrechtswidrige Besatzung und die illegale Siedlungspolitik Israels scheinen den deutschen Botschafter nicht sonderlich zu interessieren, obwohl die Positionen der Bundesrepublik klar sind.
Am 6. März twitterte der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert:
“Gerade ein einstündiges Interview in Jerusalem mit der Journalistenlegende Walter Bingham beendet, mit 99 Jahren der älteste Talkshow-Moderator der Welt. Danke Walter, du weißt noch, wie du deine Gäste zum Schwitzen bringst. @ArutzSheva_En” .
Dem Tweet fügte er ein gemeinsames Foto von sich mit dem genannten Moderator hinzu.
Es wäre womöglich nicht aufgefallen, hätte der deutsche Botschafter am Ende seines Tweets nicht auf Arutz Sheva verwiesen.
Sprachrohr der radikalen Siedlerbewegung
Israel National News – Arutz Sheva ist ein Internetradiosender, der sich als das “größte Nachrichtenkonglomerat der jüdischen Welt“ beschreibt und Nachrichten, Reportagen und Berichte rund um Israel veröffentlicht.
In Israel gilt Arutz Sheva jedoch als “das rechtsextreme Sprachrohr der Siedlerbewegung” und sitzt in der illegalen Siedlung Beit El nördlich von Jerusalem im völkerrechtswidrigen besetzten palästinensischen Westjordanland. Siedler:innen aus Beit El gelten in palästinensischen und sogar in israelischen Kreisen als besonders radikal.
Laut der deutschen Regierung ist die Position Deutschlands zu illegalen Siedlungen eindeutig und somit auch maßgebend für den deutschen Botschafter in Israel: “die Palästinensischen Gebiete (Ost-Jerusalem, Westjordanland und Gaza) und der Golan seit 1967 von Israel besetzt sind” und “Israelische Siedlungen in den besetzten Gebieten sind auch aus Sicht der Bundesregierung völkerrechtswidrig, ein Hindernis für den Frieden und eine Gefahr für die Grundlagen der Zwei-Staaten-Lösung”.
Selbst für Israelische Verhältnisse rechtsextrem
2002 entzog das Oberste Gericht Israels einstimmig dem Radiosender die Sendelizenz, weil es nach Ansicht der Richter:innen Arutz Sheva gegen das israelische Grundgesetz verstoße.
2017 veröffentlichte die FAZ eine Recherche über die großzügige Unterstützung Donald Trumps der israelischen Siedlungspolitik. Es wurden u.a. seine Spenden an “die ideologisch radikale” Siedlung von Beit El thematisiert, es handle sich um den Dachverband “American Friends of Beit El Institutions”, der vom Trumps späteren Botschafter in Israel David Friedman geleitet wird.
Der Dachverband finanziert in Beit El nicht nur Gebäude und Ausbildungsprogramme, sondern auch den Internetsender Arutz Sheva; “Auf dessen Internetseite schrieb Friedman im Juni, er halte die linksliberalen amerikanischen Juden für “schlimmer als Kapos” in den Konzentrationslagern der Nazis. Barack Obama nannte er einen Antisemiten. Und er sprach sich grundsätzlich gegen eine Zweistaatenlösung aus. Damit war Friedman auf der Linie des Senders”, so die FAZ-Recherche.
Feministische Außenpolitik?
Am 1. März brachte das Auswärtige Amt die außenpolitische Definition feministische Außenpolitik auf den Weg, deren Leitlinien Außenministerin Annalena Baerbock auf einer Pressekonferenz präsentierte. Neben der Förderung der Rechte von Frauen und anderen unterdrückten Gruppen beinhalten die Richtlinien die Förderung von Rechten der LGBTQ-Community weltweit und stellt sicher, dass diese Werte in der deutschen Außenpolitik verankert sein werden.
Gerade hier liegt ein erheblicher Widerspruch zu Arutz Sheva, denn der rechtsextreme israelische Internetsender, dem der deutsche Botschafter am 6. März ein Interview gab, also fünf Tage nach der Bekanntgabe der feministischen Außenpolitikinitiative, betrachtet den Feminismus als “radikalen Dschihad” , hetzt stark und beharrlich gegen die LGBTQ-Community und wirft homosexuellen Menschen Verschwörung vor, sie würden “die israelischen Medien kontrollieren”.
Hass gegen Palästinenser:innen
Der rechtsextreme Internetsender Arutz Sheva propagiert Hass und Rassismus gegen die Palästinenser:innen im abscheulichen Stil. So sei Palästina nur eine Erfindung, denn “Gott gab Israel den Juden”, und dieses “Palästina” könne nicht existieren, weil es den Buchstabe “P” im arabischen Alphabet nicht gibt, “die Palästinenser könnten es nicht mal aussprechen”.
Der Name “Palästina” sei Israel von den römischen Invasoren gegeben worden, um “die Zugehörigkeit der Juden zu ihrem Heimatland zu zerstören”. Ständig und in verschiedenen Artikeln auf der Webseite des radikalen Internetsenders wird behauptet, Palästina sei eigentlich das Königreich Jordanien, und dass die Lösung der Palästinenser-Frage sei, diese nach Jordanien zu vertreiben.
Rechtsradikale Ansichten des Moderators Bingham
Nicht anders positioniert sich Walter Bingham, den der deutsche Botschafter in seinem Tweet als journalistische Legende beschrieb. Er bezeichnet die Politik der israelischen Linksliberalen als verräterisch und leugnet die Existenz Palästinas, betrachtet ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels, unterstützt die israelische Siedlungspolitik und befürwortet die Zerstörung palästinensischer Dörfer und die Vertreibung ihrer Bewohner:innen.
Freund Israels; Interessen liegen am Herzen
Im Interview, in dem der rechtsextreme Host das palästinensische Westjordanland “Judäa und Samaria” nennt, kritisiert der deutsche Botschafter nicht die israelische Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten und erwähnt mit keinem Wort die israelischen Menschenrechtsverletzungen, sondern spricht ausführlich über den deutschen Kampf gegen Antisemitismus. Er betont, dass es “Eindeutige Argumente für eine palästinensische Staatseinheit“ gebe, verrät aber nicht, wie diese “Staatseinheit” aussehen soll. Eines wird jedoch betont, die palästinensische Seite müsse sich unmissverständlich verpflichten “das Existenzrecht eines jüdischen Staates anzuerkennen”.
Der ehemalige Sprecher der Bundesregierung ist der Meinung, Israel habe kein Interesse daran, die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen, da sie für die Sicherheitskoordinierung benötigt werde, und betont, er sei ein Freund Israels, dessen Interessen ihm am Herzen liegen würden.
Auswärtiges Amt: Offizielle Positionen Deutschlands bleiben unverändert
Ich schrieb an das Auswärtige Amt und bat um eine Stellungnahme, nachdem ich den Sachverhalt bezüglich des Interviews des deutschen Botschafters in Israel mit dem rechtsextremen Radiosender ausführlich schilderte. Die Pressestelle des Bundesministeriums antwortete: “Die Positionen der Bundesregierung bleiben unverändert. Im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern setzt sich Deutschland für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung ein.”.
Die Siedlungspolitik Israels wird so kommentiert: “Wir sprechen uns immer wieder nachdrücklich gegen die israelische Politik des Siedlungsausbaus in den besetzten palästinensischen Gebieten aus; sie verletzt geltendes Völkerrecht und untergräbt die Bemühungen um eine Zwei-Staaten-Lösung”.
In der Stellungnahme der Pressestelle des Auswärtigen Amtes wurde zudem auf der Pressekonferenz der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am 28. Februar mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen bei seinem Besuch in Berlin verwiesen, wo Baerbock betonte, dass “Einseitige Schritte gefährden eine politische Lösung. Der Siedlungsbau ist mit dem Völkerrecht nicht vereinbar”, worauf der israelische Außenminister kommentierte, dass die israelische Regierung im Westjordanland immer gebaut habe und das auch weiterhin tun werde.
Auf meine Fragen zur Nichteinhaltung dieser Außenpolitik durch den deutschen Botschafter in Tel Aviv wurde von der Pressestelle des Auswärtigen Amtes keine Stellung genommen, deshalb wandte ich mich noch einmal mit einer klaren und direkten Frage an und betonte: “Wie ist das Interview des deutschen Botschafters in Israel Herr Seibert mit einem rechtsextremen Radiosender, der als Sprachrohr der Siedlerbewegung gilt, mit den von Ihnen genannten offiziellen Positionen der Bundesrepublik vereinbar?”, Auf diese Frage bekam ich vom Auswärtigen Amt bis heute keine Antwort.
Keine Stellungnahme des deutschen Botschafters
Ebenfalls wandte ich mich per E-Mail an die deutsche Botschaft in Tel Aviv, erinnerte dabei an die Positionen der Bundesrepublik “die besetzen palästinensischen Gebiete von 1967 und Verurteilung des israelischen Siedlungsbaus”, und bat um eine Stellungnahme des Botschafters, nachdem ich fragte, ob er vorher Bescheid wusste, dass der Internetsender Arutz Sheva als radikaler Sprachrohr der Siedlerbewegung in Israel gilt und ob die rechtsextremen Einstellungen des Senders dem Botschafter bekannt waren. Ich wies auch darauf hin, dass einige User:innen ihn unter seinem Tweet darauf aufmerksam machten, und fragte, weshalb er diese deutlichen Hinweise ignorierte.
Eine Woche später rief ich die deutsche Botschaft in Tel Aviv an und erkundigte mich, da ich keine Antwort erhielt. Die Sekretärin versicherte mir am Telefon, dass die Kontaktaufnahme über die offizielle E-Mail der Botschaft für Presseanfragen, selbst wenn es sich um Fragen an den Botschafter persönlich handle, der richtige Weg sei. Arab48* ist offiziell als Presse- und Nachrichtenagentur in Israel registriert.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat der ehemalige Staatssekretär und jetzige Botschafter Steffen Seibert auf meine Anfragen nicht reagiert. Was mit sich eine weitere Frage bringt; Unterscheidet der deutsche Botschafter in Israel, der Muslim:innen zum heiligen Fastenmonat Ramadan auf Hebräisch gratuliert, zwischen einer hebräisch- oder englischsprachigen Presse wie dem extremistischen Siedlersender Arutz Sheva und einer arabischsprachigen?
Auf diese Frage scheint es ebenfalls keine Antwort zu geben.
*Ursprünglich wurde dieser Bericht im Auftrag von Arab48 gegeben und wurde dementsprechend auf Arabisch auf deren Webseite veröffentlicht.
Edited by: Dan Weissmann